Die perfekte Laufzeit: Warum 6 Monate oft besser sind als 2 Jahre

 

Im Handel mit Optionsscheinen ist die Wahl der richtigen Laufzeit eine der fundamentalsten und gleichzeitig schwierigsten strategischen Entscheidungen. Viele Anleger neigen instinktiv zu längeren Laufzeiten, da sie mehr "Sicherheit" und Zeit für die erhoffte Marktentwicklung versprechen. Doch ist diese Annahme korrekt? Oft ist das Gegenteil der Fall: Eine kürzere, zur eigenen Prognose passende Laufzeit kann die Rendite maximieren und das Risiko-Ertrags-Verhältnis erheblich verbessern.

Dieser fundierte Strategie-Artikel analysiert anhand eines klaren Rechenbeispiels, warum ein Anleger mit einem Optionsschein "im Geld" und sechs Monaten Restlaufzeit oft deutlich besser aufgestellt ist als mit einem Schein, der noch über zwei Jahre läuft. Wir tauchen tief in die Mechanismen von Zeitwert, Bezugsverhältnis und Break-Even ein, um Ihnen ein überlegenes strategisches Rüstzeug für Ihre Handelsentscheidungen an die Hand zu geben.


 

Das Szenario: Eine klare Markterwartung

 

Um die beiden Strategien direkt vergleichen zu können, definieren wir eine klare Ausgangslage und eine Prognose.

  • Basiswert: Aktie XYZ

  • Aktueller Kurs: 100 €

  • Ihre Markterwartung: Sie sind zuversichtlich, dass die Aktie in den nächsten sechs Monaten um 10 % auf 110 € steigen wird.

Für diese Erwartung stehen Ihnen zwei Call-Optionsscheine zur Verfügung, die beide bereits "im Geld" sind, sich aber fundamental in ihrer Laufzeit und ihrem Bezugsverhältnis unterscheiden.


 

Das Bezugsverhältnis: Der Schlüssel zum Kapitaleinsatz

 

Bevor wir in die Beispiele eintauchen, ist das Verständnis des Bezugsverhältnisses entscheidend. Es gibt an, wie viele Optionsscheine Sie benötigen, um das Recht auf eine Einheit des Basiswerts (z.B. eine Aktie) zu erwerben. Ein Bezugsverhältnis von 0,1 bedeutet, dass 10 Optionsscheine einer Aktie entsprechen.

Um den Kapitaleinsatz für das Recht auf 10 Aktien zu berechnen, müssen Sie also 10 / 0,1 = 100 Optionsscheine kaufen. Diese Logik ist der Schlüssel, um den geringeren Kapitaleinsatz zu verstehen.


 

Strategie A: Der vermeintlich sichere Langläufer (2 Jahre Restlaufzeit)

 

Auf den ersten Blick erscheint dieser Schein attraktiv. Die lange Laufzeit von zwei Jahren bietet einen riesigen Puffer. Doch diese "Sicherheit" hat einen hohen Preis.

Parameter des Scheins:

  • Basispreis (Strike): 90 €

  • Bezugsverhältnis: 0,1

Die Preis-Analyse: Der Preis dieses Scheins setzt sich aus dem inneren Wert und dem Zeitwert zusammen.

  1. Innerer Wert pro Aktie: 100 € (Kurs) - 90 € (Strike) = 10 €.

  2. Zeitwert pro Aktie: Die Prämie für die Chance von zwei vollen Jahren ist sehr hoch. Nehmen wir einen realistischen Wert von 8 € an.

  3. Theoretischer Wert pro Aktie: 10 € + 8 € = 18 €.

  4. Preis pro Optionsschein: 18 € * 0,1 (Bezugsverhältnis) = 1,80 €.

  • Ihr Kapitaleinsatz: Um das Recht auf 10 Aktien zu erwerben, kaufen Sie 100 Optionsscheine. Ihr Einsatz beträgt 100 * 1,80 € = 180 €.

Die entscheidende Konsequenz: Der Break-Even-Punkt

  • Break-Even: 90 € (Basispreis) + 18 € (Prämie pro Aktie) = 108 €

Obwohl der Schein tief im Geld ist, muss die Aktie um 8 % steigen, nur damit Sie bei null herauskommen.


 

Strategie B: Der kapitaleffiziente Kurzläufer (6 Monate Restlaufzeit)

 

Dieser Schein passt exakt zu Ihrem Prognosehorizont. Sie bezahlen nicht für Zeit, die Sie gemäß Ihrer Analyse nicht benötigen.

Parameter des Scheins:

  • Basispreis (Strike): 90 €

  • Bezugsverhältnis: 0,1

Die Preis-Analyse: Der innere Wert ist identisch. Der Unterschied liegt im Zeitwert.

  1. Innerer Wert pro Aktie: 10 €.

  2. Zeitwert pro Aktie: Die Prämie für nur sechs Monate Chance ist deutlich geringer. Nehmen wir hier 3 € an.

  3. Theoretischer Wert pro Aktie: 10 € + 3 € = 13 €.

  4. Preis pro Optionsschein: 13 € * 0,1 (Bezugsverhältnis) = 1,30 €.

  • Ihr Kapitaleinsatz: Sie kaufen wieder 100 Optionsscheine. Ihr Einsatz beträgt 100 * 1,30 € = 130 €.

Die entscheidende Konsequenz: Der Break-Even-Punkt

  • Break-Even: 90 € (Basispreis) + 13 € (Prämie pro Aktie) = 103 €

Dieser Schein erfordert nur einen Kursanstieg von 3 %, um profitabel zu werden. Das Ziel ist weitaus realistischer.


 

Showdown: Die Rendite nach 6 Monaten

 

Nun tritt unsere Prognose ein: Die Aktie erreicht nach sechs Monaten exakt 110 €. Der Kurzläufer verfällt.

  • Ergebnis des Direktinvestments: Ein Kauf von 10 Aktien für 1.000 € und Verkauf für 1.100 € hätte eine Rendite von +10 % erzielt.

  • Ergebnis des Kurzläufers (Schein B):

    • Wert am Verfallstag: Der innere Wert pro Schein ist (110 € - 90 €) * 0,1 = 2,00 €.

    • Gesamtwert: 100 Scheine * 2,00 € = 200 €.

    • Gewinn: 200 € (Endwert) - 130 € (Einsatz) = 70 €.

    • Rendite: (70 € Gewinn / 130 € Einsatz) = +53,8 %

 

Und der Langläufer?

 

Der Langläufer (Schein A) wäre bei einem Kurs von 110 € ebenfalls im Gewinn. Er verfällt jedoch noch nicht. Sein Preis muss neu berechnet werden, da er noch 1,5 Jahre Restlaufzeit und somit einen Zeitwert hat. Basierend auf dem Black-Scholes-Modell wäre sein neuer Preis pro Schein ca. 2,59 €.

  • Neuer Gesamtwert: 100 Scheine * 2,59 € = 259 €.

  • Gewinn: 259 € (Neuer Wert) - 180 € (Einsatz) = 79 €.

  • Rendite: (79 € Gewinn / 180 € Einsatz) = +43,9 %

Analyse: Obwohl der Langläufer einen höheren absoluten Gewinn erzielt, ist die Rendite auf das eingesetzte Kapital beim Kurzläufer deutlich höher (53,8 % vs. 43,9 %). Sie haben Ihr Kapital effizienter eingesetzt.


 

Risiko und Fazit: Die Zeit als zweischneidiges Schwert

 

Die Strategie mit kürzeren Laufzeiten hat einen klaren Nachteil: Die Zeit arbeitet schneller gegen Sie. Der Zeitwertverfall (Theta) ist in den letzten Monaten vor dem Verfall am aggressivsten. Tritt Ihre erwartete Bewegung nicht rechtzeitig ein oder läuft der Markt seitwärts, verliert der Kurzläufer schneller an Wert.

Strategisches Fazit:

Die Wahl einer übermäßig langen Laufzeit ist oft eine teuer erkaufte, trügerische Sicherheit. Sie bläht den Zeitwert auf und verschlechtert Ihren Break-Even-Punkt. Eine präzise Markterwartung, kombiniert mit einem Optionsschein, dessen Laufzeit zu diesem Horizont passt, ist in der Regel die kapitaleffizientere und renditestärkere Strategie. Sie zwingt Sie zur Disziplin, belohnt Sie aber mit einem überlegenen Chance-Risiko-Profil.

Letztendlich ist die Entscheidung für einen Optionsschein anstelle eines Direktinvestments immer ein strategisches Abwägen:

  • Ein Direktinvestment lockt mit dem potenziell höheren absoluten Gewinn, erfordert aber den vollen Kapitaleinsatz und birgt ein entsprechend höheres Gesamtrisiko.

  • Der Optionsschein hingegen ermöglicht durch seine Kapitaleffizienz – in unserem Beispiel benötigte er nur etwa ein Fünftel des Kapitals – eine deutlich höhere prozentuale Rendite und begrenzt das maximale Verlustrisiko auf den (vergleichsweise geringen) Einsatz.

Die Kunst besteht darin, die eigene Risikobereitschaft und Marktmeinung zu kennen, um das passende Instrument für die eigenen Ziele zu wählen.