Volatilität: Der ultimative Guide zu VIX, Risiko & Preisbildung
Die Volatilität ist einer der zentralen und meistdiskutierten Begriffe an den Finanzmärkten. Intuitiv verbinden die meisten Anleger damit Risiko, Unsicherheit und wilde Kursschwankungen. Doch was genau misst die Volatilität? Wie wird sie berechnet, und wie können Trader diese Kennzahl nutzen, um nicht nur Risiken zu managen, sondern auch Handelschancen zu identifizieren?
Dieser tiefgehende Artikel erklärt die Volatilität von Grund auf. Wir definieren den Begriff, unterscheiden zwischen historischer und impliziter Volatilität und tauchen tief in die Funktionsweise des bekanntesten Volatilitätsmaßes der Welt ein: des VIX-Index. Darüber hinaus beleuchten wir das fortgeschrittene Konzept der "Volatilität der Volatilität" und erklären, warum diese Kennzahl ein unverzichtbarer Baustein bei der Preisberechnung von Derivaten wie Optionsscheinen ist.
Was ist Volatilität? Eine Definition von Risiko
In der Finanzwelt ist die Volatilität ein statistisches Maß für die Intensität der Kursschwankungen eines bestimmten Vermögenswertes (z.B. einer Aktie oder eines Index) über einen definierten Zeitraum. Sie misst die durchschnittliche Abweichung vom Mittelwert und wird mathematisch als Standardabweichung der Renditen ausgedrückt.
Einfach gesagt:
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Hohe Volatilität: Der Kurs des Vermögenswertes schwankt stark und unvorhersehbar. Das Risiko, aber auch die Chance auf schnelle, hohe Gewinne (oder Verluste) ist groß.
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Niedrige Volatilität: Der Kurs bewegt sich in einer engen Spanne und ist relativ stabil. Das Risiko ist geringer, aber auch das Potenzial für schnelle Kursgewinne.
Für Anleger ist die Volatilität somit der primäre Indikator für das Risiko eines Investments.
Historische vs. Implizite Volatilität: Blick in den Spiegel oder in die Kugel?
Es ist entscheidend, zwischen zwei Arten der Volatilität zu unterscheiden:
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Historische Volatilität: Diese Kennzahl blickt in die Vergangenheit. Sie berechnet die tatsächlichen Kursschwankungen, die in einem vergangenen Zeitraum (z.B. die letzten 30 Tage) stattgefunden haben. Sie ist eine exakte, datenbasierte Messung dessen, was war.
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Implizite Volatilität: Diese Kennzahl blickt in die Zukunft. Sie wird nicht aus historischen Kursen abgeleitet, sondern aus den aktuellen Preisen von Optionen. Sie spiegelt die vom Markt kollektiv erwartete zukünftige Schwankungsbreite wider. Sie ist die "Angst" oder "Gier" der Marktteilnehmer, ausgedrückt in einer Zahl.
Der VIX-Index: Der "Angstindex" der Weltwirtschaft
Der bekannteste Indikator für die implizite Volatilität ist der CBOE Volatility Index, kurz VIX. Er wurde von der Chicago Board Options Exchange (CBOE) entwickelt und gilt als der "Angstindex" oder das "Angstbarometer" der Wall Street.
Was misst der VIX genau?
Der VIX misst die vom Optionsmarkt erwartete annualisierte Schwankungsbreite des S&P 500 Index für die nächsten 30 Tage. Er wird in Echtzeit aus den Preisen einer breiten Palette von kurzlaufenden Call- und Put-Optionen auf den S&P 500 berechnet. Ein hoher VIX-Stand bedeutet, dass die Optionshändler mit starken Marktschwankungen rechnen (hohe Angst), während ein niedriger VIX-Stand auf eine Phase der Ruhe und Stabilität hindeutet (wenig Angst oder hohe Sorglosigkeit).
Die Formel: Wie der VIX berechnet wird
Die exakte Berechnungsformel des VIX ist hochkomplex und erfordert die Gewichtung hunderter verschiedener Optionspreise. Sie basiert auf der Varianz der Optionen und wird so aggregiert, dass sie die erwartete 30-Tage-Volatilität widerspiegelt. Die vollständige Formel ist im "VIX White Paper" der CBOE dokumentiert und sprengt den Rahmen dieses Artikels.
Was die Prozentzahl des VIX wirklich bedeutet
Das ist der entscheidende Punkt für das praktische Verständnis. Ein VIX-Stand ist eine annualisierte Prozentzahl. Ein VIX von 20 % bedeutet, dass der Markt erwartet, dass der S&P 500 in den nächsten 12 Monaten mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 68 % (eine Standardabweichung) in einer Spanne von +20 % bis -20 % um seinen aktuellen Wert schwanken wird.
Um diesen annualisierten Wert auf den relevanten 30-Tage-Horizont herunterzubrechen, gibt es eine einfache Faustformel:
Erwartete 30-Tage-Schwankung ≈ VIX / √12
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Beispiel: Bei einem VIX-Stand von 20:
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20 / √12 ≈ 20 / 3,46 ≈ 5,78 %
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Interpretation: Der Markt erwartet also, dass der S&P 500 in den nächsten 30 Tagen mit einer Wahrscheinlichkeit von 68 % in einer Spanne von +5,78 % bis -5,78 % um seinen jetzigen Kurs schwanken wird.
Ein hoher VIX (z.B. über 30) signalisiert also eine hohe erwartete kurzfristige Marktinstabilität, während ein niedriger VIX (z.B. unter 15) eine ruhige Marktphase anzeigt.
Die Volatilität der Volatilität (VVIX): Die Angst vor der Angst
Für professionelle Trader gibt es noch eine tiefere Ebene der Analyse: die Volatilität der Volatilität. Genau wie der Kurs einer Aktie schwankt, schwankt auch der VIX-Index selbst. Die erwartete Schwankungsbreite des VIX wird wiederum in einem eigenen Index gemessen: dem VVIX-Index (oft "VIX of VIX" genannt).
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Was misst der VVIX?: Der VVIX misst die erwartete 30-Tage-Volatilität des VIX-Index, abgeleitet aus den Preisen von Optionen auf den VIX.
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Interpretation:
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Ein hoher VVIX-Stand bedeutet, dass die Händler unsicher über die zukünftige Entwicklung der Volatilität selbst sind. Sie rechnen damit, dass sich die "Angst" (der VIX) sprunghaft ändern kann. Dies ist oft ein Vorbote für größere Marktereignisse.
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Ein niedriger VVIX-Stand signalisiert, dass der Markt erwartet, dass das aktuelle Volatilitätsniveau (ob hoch oder niedrig) relativ stabil bleiben wird.
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Der VVIX ist also ein Maß für die Unsicherheit über die Unsicherheit und ein wichtiges Instrument für fortgeschrittene Risikomanagement-Strategien.
Die Rolle der Volatilität bei Finanzderivaten
Die Volatilität ist nicht nur ein Risikomaß, sondern auch ein direkter und entscheidender Preisbildungsfaktor für alle Finanzderivate, deren Wert von zukünftigen Kursbewegungen abhängt.
Die Black-Scholes-Formel
Wie in unserem Artikel zur Aktiengesellschaft erwähnt, basiert die Preisbildung von Optionen und Optionsscheinen auf dem Nobelpreis-prämierten Black-Scholes-Modell. Einer der fünf entscheidenden Eingabeparameter in diese Formel ist die Volatilität.
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Funktionsweise: Eine höhere Volatilität bedeutet eine höhere Wahrscheinlichkeit für extreme Kursbewegungen. Diese gestiegene "Chance", dass ein Schein bis zum Verfallstag tief ins Geld läuft, macht den Zeitwert einer Option teurer.
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Konsequenz: Steigt die (implizite) Volatilität, steigt bei sonst gleichen Bedingungen der Preis von Call- und Put-Optionsscheinen. Fällt die Volatilität, fallen auch die Preise.
Das Verständnis der Volatilität ist daher für jeden Derivate-Trader unerlässlich. Es reicht nicht aus, nur eine Meinung über die Kursrichtung zu haben; man muss auch eine Meinung über die zukünftige Entwicklung der Schwankungsbreite haben.
Fazit: Volatilität ist mehr als nur Risiko
Volatilität ist die Triebfeder der Finanzmärkte. Für den langfristigen Anleger ist sie ein Maß für das Risiko, das er managen muss. Für den kurzfristigen Trader ist sie jedoch auch eine Quelle von Chancen und ein direkter Faktor, der die Preise der von ihm gehandelten Instrumente bestimmt. Werkzeuge wie der VIX-Index helfen dabei, die Erwartungen des Marktes zu quantifizieren und die eigene Strategie an das aktuelle Marktumfeld anzupassen. Ein tiefes Verständnis dieses Konzepts ist somit der Übergang vom reinen Spekulieren zum fundierten, strategischen Handeln.