Die Aktiengesellschaft (AG): Organe, IPO & Freefloat einfach erklärt
Die Aktiengesellschaft, abgekürzt AG, ist die Königsklasse der Unternehmensformen in Deutschland. Sie ist die Rechtsform der großen, bekannten Konzerne – von Volkswagen über Siemens bis hin zu SAP. Doch was genau verbirgt sich hinter diesen zwei Buchstaben? Warum ist diese Struktur so entscheidend für den Kapitalmarkt und welche Rolle spielen Sie als Aktionär in diesem komplexen Gebilde?
Dieser Artikel erklärt die fundamentalen Merkmale der Aktiengesellschaft. Wir tauchen tief in die Aufgaben ihrer Organe ein, beleuchten den spannenden Prozess eines Börsengangs (IPO) und klären, was der oft genannte "Freefloat" über eine Aktie aussagt.
Was ist eine Aktiengesellschaft? Die Definition
Eine Aktiengesellschaft ist eine Kapitalgesellschaft, deren Grundkapital in Aktien zerlegt ist. Im Gegensatz zu Personengesellschaften (wie einer OHG oder KG) haften die Gesellschafter – hier Aktionäre genannt – nicht mit ihrem Privatvermögen, sondern nur mit dem Wert ihrer Einlage, also ihrer Aktien.
Die AG ist eine eigene juristische Person, was bedeutet, dass sie selbst Rechte und Pflichten hat, Verträge schließen und vor Gericht klagen oder verklagt werden kann. Ihre rechtlichen Grundlagen sind im Aktiengesetz (AktG) detailliert geregelt, das eine klare und strenge Trennung von Macht und Kontrolle vorschreibt.
Die drei Organe der AG: Eine klare Gewaltenteilung
Das deutsche Aktiengesetz schreibt eine strikte Trennung der Unternehmensführung und -kontrolle durch drei Organe vor. Diese "Gewaltenteilung" soll Machtmissbrauch verhindern und die Interessen aller Beteiligten wahren.
1. Der Vorstand: Die Geschäftsführung
Der Vorstand ist das Leitungsorgan der AG. Er führt die Geschäfte des Unternehmens in eigener Verantwortung und vertritt die Gesellschaft nach außen. Seine Hauptaufgabe ist es, die strategischen Ziele des Unternehmens umzusetzen und den Unternehmenswert im Interesse der Aktionäre, Mitarbeiter und weiterer Stakeholder langfristig zu steigern.
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Funktionen:
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Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie.
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Leitung des operativen Tagesgeschäfts.
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Erstellung des Jahresabschlusses und Lageberichts.
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Einberufung der Hauptversammlung.
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Bestellung: Der Vorstand wird vom Aufsichtsrat für eine Dauer von maximal fünf Jahren bestellt.
2. Der Aufsichtsrat: Die Kontrolle
Der Aufsichtsrat ist das Kontrollorgan der AG. Seine zentrale Aufgabe ist die Überwachung der Geschäftsführung durch den Vorstand. Er ist das wichtigste Korrektiv und stellt sicher, dass der Vorstand im Sinne des Unternehmens handelt.
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Funktionen:
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Bestellung und Abberufung des Vorstands.
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Überwachung und Beratung des Vorstands.
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Prüfung des Jahresabschlusses und des Vorschlags zur Gewinnverwendung.
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Zustimmung zu besonders wichtigen, zustimmungspflichtigen Geschäften (z.B. große Übernahmen).
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Zusammensetzung: In Deutschland besteht der Aufsichtsrat bei größeren Unternehmen paritätisch aus Vertretern der Anteilseigner (gewählt von der Hauptversammlung) und Vertretern der Arbeitnehmer (nach dem Mitbestimmungsgesetz).
3. Die Hauptversammlung: Die Stimme der Eigentümer
Die Hauptversammlung ist die Versammlung aller Aktionäre und damit das beschließende Organ der Gesellschaft. Hier üben die Eigentümer des Unternehmens ihre Rechte aus. Sie findet mindestens einmal jährlich statt.
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Funktionen:
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Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat (Abstimmung über die Billigung ihrer Arbeit im vergangenen Geschäftsjahr).
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Wahl der Anteilseignervertreter für den Aufsichtsrat.
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Beschluss über die Gewinnverwendung (z.B. die Höhe der Dividende).
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Entscheidung über grundlegende Kapitalmaßnahmen (z.B. die Ausgabe neuer Aktien).
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Zustimmung zu Satzungsänderungen und grundlegenden Unternehmensverträgen.
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Die Rolle der Aktionäre
Ein Aktionär ist kein bloßer Spekulant, sondern ein Miteigentümer der Aktiengesellschaft. Die Größe seines Anteils bestimmt dabei sein Stimmrecht in der Hauptversammlung. Seine Hauptrechte sind:
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Teilnahme- und Stimmrecht in der Hauptversammlung.
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Recht auf Dividende (Anteil am Unternehmensgewinn).
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Auskunftsrecht über die Angelegenheiten der Gesellschaft.
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Bezugsrecht bei der Ausgabe neuer Aktien, um eine Verwässerung seines Anteils zu verhindern.
Der Börsengang (IPO): Wie eine AG an den Kapitalmarkt kommt
Der Börsengang (Initial Public Offering) ist der Prozess, bei dem eine private Aktiengesellschaft erstmals ihre Aktien öffentlich an der Börse zum Kauf anbietet. Dies ist der entscheidende Schritt vom Primärmarkt, wo neues Kapital für das Unternehmen geschaffen wird, zum Sekundärmarkt, wo diese Aktien dann täglich gehandelt werden.
Der Ablauf (vereinfacht):
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Vorbereitung: Das Unternehmen wird von Investmentbanken und Wirtschaftsprüfern "börsenreif" gemacht. Bilanzen werden geprüft, die Equity Story (die Wachstumsgeschichte für Investoren) wird entwickelt.
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Bookbuilding-Verfahren: Die begleitenden Banken sprechen mit großen, institutionellen Investoren (Fonds, Versicherungen), um das Interesse und eine realistische Preisspanne für die Aktie zu ermitteln.
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Festlegung des Emissionspreises: Basierend auf der Nachfrage wird ein finaler Preis festgelegt, zu dem die neuen Aktien an die ersten Investoren verkauft werden.
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Erste Notiz (Listing): Die Aktie wird zum ersten Mal an der Börse gehandelt. Das Unternehmen erhält das frische Kapital aus dem Verkauf der neuen Aktien.
Freefloat: Wie viele Anteile sind frei handelbar?
Nicht alle Aktien eines Unternehmens werden beim Börsengang an die Öffentlichkeit verkauft. Oft behalten Gründer, Gründerfamilien oder Großinvestoren einen erheblichen Anteil der Aktien als Festbesitz.
Der Freefloat (Streubesitz) ist der prozentuale Anteil aller Aktien eines Unternehmens, der nicht in festen Händen ist, sondern frei an der Börse von der breiten Masse der Anleger (wie Ihnen) gehandelt werden kann.
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Festlegung: Das Unternehmen und seine Altaktionäre entscheiden vor dem IPO, wie viele neue und alte Aktien sie in den freien Handel geben möchten.
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Bedeutung: Ein hoher Freefloat bedeutet in der Regel eine höhere Liquidität der Aktie (sie kann leichter ge- und verkauft werden) und ist oft eine Voraussetzung für die Aufnahme in wichtige Indizes wie den DAX. Eine Aktie mit sehr niedrigem Freefloat kann anfälliger für starke Kursschwankungen sein.
Das Leben nach dem IPO: Kapitalerhöhungen und Aktienrückkäufe
Mit dem Börsengang ist die Interaktion eines Unternehmens mit dem Kapitalmarkt nicht beendet. Der Sekundärmarkt dient nicht nur dem Handel der Aktionäre untereinander, sondern kann vom Unternehmen auch für weitere strategische Maßnahmen genutzt werden.
Kapitalerhöhungen: Frisches Geld für neue Projekte
Wenn ein bereits börsennotiertes Unternehmen weiteres Kapital benötigt – zum Beispiel für eine große Übernahme oder eine Expansion – kann es eine Kapitalerhöhung durchführen. Dabei werden neue, zusätzliche Aktien ausgegeben und an der Börse verkauft. Dies ist neben der Aufnahme von Fremdkapital (z.B. Bankkredite) der klassische Weg, um sich Eigenkapital zu beschaffen. Die Altaktionäre erhalten in der Regel ein Bezugsrecht, um neue Aktien zu erwerben und so ihren prozentualen Anteil am Unternehmen konstant zu halten.
Aktienrückkäufe: Kurspflege und Gewinnverdichtung
Unternehmen können auch den umgekehrten Weg gehen und eigene Aktien am Sekundärmarkt zurückkaufen. Solche Aktienrückkaufprogramme haben mehrere Effekte:
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Kurspflege: Durch die zusätzliche Nachfrage vom Unternehmen selbst kann der Aktienkurs gestützt oder gesteigert werden.
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Angebotsreduzierung: Die zurückgekauften Aktien werden oft eingezogen, wodurch sich die Gesamtzahl der frei handelbaren Aktien verringert.
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Gewinnverdichtung: Da der zukünftige Unternehmensgewinn auf weniger Aktien verteilt wird, steigt der Gewinn pro Aktie (EPS), was die Aktie für Investoren attraktiver machen kann.