Die 5 größten Irrtümer bei Optionsscheinen (und wie Sie teure Fehler vermeiden)

Der Handel mit Optionsscheinen verspricht hohe Hebel und schnelle Gewinne, doch der Weg dorthin ist mit kostspieligen Fallstricken gepflastert. Viele Anleger, selbst jene mit einem grundlegenden Marktverständnis, tappen immer wieder in die gleichen Denkfehler. Diese Irrtümer basieren oft auf einer falschen Interpretation der Preisbildung und einer Überschätzung der eigenen Gewinnchancen.

Dieser wissenschaftlich fundierte Artikel deckt die fünf häufigsten und teuersten Irrtümer im Umgang mit Optionsscheinen auf. Er liefert Ihnen das entscheidende Wissen, um diese Fehler zu vermeiden und Ihre Handelsentscheidungen auf ein solides Fundament zu stellen.

Irrtum 1: "Wenn der Basiswert den Strike erreicht, mache ich Gewinn."

 

Dies ist der wohl fundamentalste und gefährlichste Trugschluss. Die Annahme, dass ein Call-Optionsschein profitabel ist, sobald der Basiswert den Basispreis (Strike) erreicht, ist kategorisch falsch.

Die Realität: Der Kaufpreis eines Optionsscheins (die Prämie) ist ein Aufgeld, das Sie für die Chance auf eine positive Kursentwicklung zahlen. Um profitabel zu sein, muss der Basiswert am Verfallstag nicht nur den Strike erreichen, sondern so weit darüber (bei Calls) bzw. darunter (bei Puts) notieren, dass er die von Ihnen bezahlte Prämie vollständig kompensiert. Diesen Punkt nennt man den Break-Even-Punkt.

Die exakten Formeln für den Verfallstag lauten:

  • Break-Even (Call) = Basispreis + (Ihr Kaufpreis / Bezugsverhältnis)

  • Break-Even (Put) = Basispreis - (Ihr Kaufpreis / Bezugsverhältnis)

Jeder Euro, den Sie für den Schein bezahlen, verschiebt Ihren persönlichen Gewinnpunkt weiter vom Basispreis weg. Wer diese einfache Rechnung ignoriert, wird oft enttäuscht feststellen, dass er trotz richtiger Markteinschätzung Geld verliert.

 

Ein Praxisbeispiel entlarvt den Denkfehler

 

Betrachten wir einen realen Call-Optionsschein auf den DAX mit folgenden Parametern:

  • Basispreis (Strike): 27.750 Punkte

  • Ihr Kaufpreis (Briefkurs): 1,57 €

  • Bezugsverhältnis: 0,01

  • Verfallstag: 19.06.2026

Ihr persönlicher Break-Even-Punkt am Verfallstag berechnet sich wie folgt: Break-Even = 27.750 + (1,57 € / 0,01) = 27.907 Punkte

Der DAX muss also am 19.06.2026 bei mindestens 27.907 Punkten stehen, nur damit Sie Ihre 1,57 € zurückerhalten.

Hier entsteht die Verwirrung: Ein Optionsscheinrechner zeigt Ihnen heute bei einem DAX-Stand von 27.907 Punkten jedoch einen höheren Preis an, zum Beispiel 1,841 €. Warum? Weil dieser heutige Preis aus zwei Komponenten besteht:

  1. Innerer Wert: (27.907 - 27.750) * 0,01 = 1,57 €. Dies ist der reale, greifbare Wert.

  2. Zeitwert: 1,841 € - 1,57 € = 0,271 €. Dies ist der Aufpreis für die verbleibende Restlaufzeit und die damit verbundene Chance.

 

Warum dieser Zeitwert am Ende verschwunden sein wird: Der Zeitwert ist der Preis für die Unsicherheit und die Chance, die in der Zukunft liegt. Mit jedem Tag, der vergeht, schmilzt dieser Zeitwert unaufhaltsam. Dieser Prozess wird auch Theta-Verfall genannt. Am Verfallstag ist das "Rennen" vorbei. Es gibt keine verbleibende Zeit und somit keine Chance mehr, die einen Aufpreis rechtfertigen würde. Der Zeitwert ist am Ende exakt null. Übrig bleibt nur der greifbare innere Wert, der in unserem Beispiel exakt Ihrem Break-Even von 1,57 € entspricht.


 

Exkurs: Die doppelte Chance bei Puts in überkauften Märkten

 

In der Tat kann der Kauf von Puts in überkauften, ruhigen Marktphasen besonders lohnenswert sein. Der Grund dafür ist genau, wie Sie es beschrieben haben:

  1. Niedrige implizite Volatilität: In Phasen stetiger Kursanstiege ("Gier"-Phasen) sinkt die Nervosität am Markt. Die implizite Volatilität ist niedrig, was Put-Optionsscheine (und auch Calls) relativ "günstig" macht. Sie zahlen also einen geringeren Zeitwert.

  2. Der doppelte Gewinneffekt bei einer Korrektur: Wenn der Markt wie erwartet dreht und fällt, profitieren Sie potenziell gleich doppelt:

    • Delta-Gewinn: Der Wert Ihres Puts steigt, weil der Basiswert in die für Sie richtige Richtung fällt.

    • Vega-Gewinn: Fallende Märkte gehen fast immer mit steigender Panik und Unsicherheit einher. Diese Panik führt zu einem sprunghaften Anstieg der impliziten Volatilität. Dieser Anstieg bläht den Zeitwert Ihres Optionsscheins zusätzlich auf (positives Vega).

Sie profitieren also nicht nur davon, dass Sie richtig lagen, sondern auch davon, dass die allgemeine Marktnervosität zunimmt. Diese Asymmetrie ist einer der elegantesten strategischen Ansätze im Handel mit Optionsscheinen.

Irrtum 2: "Der Optionsscheinrechner zeigt mir den zukünftigen Preis."

 

Optionsscheinrechner sind mächtige Werkzeuge, aber ihre Funktionsweise wird systematisch missverstanden. Viele Anleger geben einen zukünftigen Berechnungstag und einen Zielkurs ein und glauben, das Ergebnis sei die Preisprognose für diesen Tag.

Die Realität: Der Rechner ist keine Zeitmaschine. Er beantwortet eine rein hypothetische Frage für das Hier und Jetzt: "Was wäre der Schein heute wert, wenn der Basiswert in diesem Moment auf den Zielkurs springen würde?"

Der Rechner kennt zwar das Verfallsdatum, nutzt es aber nur, um die Restlaufzeit ab heute zu ermitteln. Diese Restlaufzeit ist ein Hauptbestandteil des Zeitwerts. Der angezeigte Preis enthält also immer den Zeitwert, der zum Zeitpunkt der Berechnung noch vorhanden ist. Dieser Zeitwert schmilzt jedoch bis zum Verfallstag unaufhaltsam auf null.


 

Irrtum 3: "Ein hoher Hebel bedeutet eine hohe Gewinnchance."

 

Der Hebel ist die Kennzahl, die die meisten Anleger anlockt. Ein Hebel von 100 scheint eine Verhundertfachung des Gewinns zu versprechen.

Die Realität: Ein extrem hoher Hebel ist fast immer ein Indikator für ein extrem hohes Risiko. Er entsteht typischerweise bei Optionsscheinen, die (1) weit aus dem Geld liegen und (2) eine kurze Restlaufzeit haben. Ein solcher Schein ist zwar sehr billig, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Basiswert die immense Distanz zum Basispreis in der kurzen verbleibenden Zeit noch überwindet, ist verschwindend gering. Der hohe Hebel wirkt zudem in beide Richtungen und beschleunigt den Totalverlust bei einer Seitwärtsbewegung oder einer leichten Gegenbewegung des Marktes. Ein moderater Hebel bei einem Schein "am Geld" ist oft die strategisch klügere Wahl.


 

Irrtum 4: "Bei hoher Volatilität steigen die Chancen."

 

Anleger hören oft, dass Volatilität gut für Optionsscheine sei. Das ist nur die halbe Wahrheit.

Die Realität: Eine hohe implizite Volatilität verteuert den Optionsschein. Sie kaufen in einer Phase hoher Unsicherheit also zu Höchstpreisen. Das eigentliche Risiko ist der sogenannte "Volatility Crush": Sobald die Unsicherheit aus dem Markt weicht (z.B. nach einer Zinsentscheidung), kollabiert die implizite Volatilität. Dieser Zusammenbruch vernichtet den Zeitwert Ihres Scheins. Selbst wenn Sie mit der Kursrichtung des Basiswerts richtig lagen, kann dieser Effekt Ihren Gewinn auslöschen oder sogar zu einem Verlust führen. Die strategisch klügere Entscheidung ist oft der Kauf bei historisch niedriger Volatilität.


 

Irrtum 5: "Am Verfallstag spielt die Volatilität auch noch eine Rolle."

 

Eng verbunden mit Irrtum 4 ist der Glaube, die Volatilität sei bis zur letzten Sekunde ein Preisfaktor.

Die Realität: Am Verfallstag selbst ist die implizite Volatilität für den Wert des Scheins vollkommen irrelevant. An diesem Tag gibt es keine Zukunft und keine Unsicherheit mehr, die man bepreisen könnte. Der Zeitwert ist exakt null. Der Wert des Optionsscheins besteht an seinem letzten Handelstag ausschließlich aus seinem inneren Wert. Für die Endabrechnung zählt einzig und allein die Differenz zwischen dem Schlusskurs des Basiswerts und dem Basispreis. Die einfache Break-Even-Formel ist an diesem Tag das einzig relevante mathematische Werkzeug.

Der entscheidende Gedanke vor jedem Trade

 

Eine gute strategische Voraussetzung für den Kauf eines Optionsscheins ist die fundierte Annahme, dass der Basiswert das Potenzial hat, den persönlichen Break-Even-Punkt bis zum Laufzeitende deutlich zu übertreffen. Nur der Bereich über diesem Punkt stellt die eigentliche Gewinnzone dar, die das eingegangene Totalverlustrisiko rechtfertigt.

Fazit: Vom Spekulanten zum strategischen Anleger

 

Der Handel mit Optionsscheinen scheitert seltener an einer falschen Marktmeinung, sondern viel häufiger am mangelnden Verständnis für die Preisstruktur der Produkte selbst. Die fünf aufgedeckten Irrtümer zeigen, dass der verlockende Hebel oft den Blick auf die entscheidenden, aber unsichtbaren Kräfte wie den Zeitwertverfall und die implizite Volatilität verstellt.

Die Erkenntnis, dass der Break-Even-Punkt das einzig relevante Gewinnziel am Verfallstag ist und Optionsscheinrechner nur eine Momentaufnahme des heutigen Werts liefern, ist der entscheidende Schritt weg von der blinden Spekulation hin zur fundierten Analyse.

Wer diese fundamentalen Irrtümer vermeidet und lernt, die vorgestellten Konzepte als festen Bestandteil seiner Handelsroutine zu etablieren, hört auf, den Markt als Casino zu betrachten. Er tauscht den spekulativen Nervenkitzel eines Lottoscheins gegen das kalkulierte Risiko eines strategischen Instruments und legt damit das Fundament für langfristigen Erfolg im Derivatehandel.